Die Mutter hat in ihr handschriftliches Testament geschrieben: „Die Aktien soll mein Sohn haben, das Haus soll meine Tochter haben.“ Dabei hat sie jedoch nicht bedacht, was das Vermächtnis bei der Teilungsversteigerung bedeutet. Nach dem Tod der Mutter hat der Sohn die Aktien bekommen (und hat sie verspekuliert). Die Tochter wohnt schon in den zehn Jahren seit dem Tod der Mutter allein in dem Haus und betrachtet es als ihr Eigentum. „Das stand ja schließlich so im Testament.“ Nur im Grundbuch ist immer noch die Mutter eingetragen. Das hat die Tochter für eine reine Formsache gehalten. Das könne man ja schließlich jederzeit immer noch ändern.
Und jetzt meldet sich die Tochter ganz aufgelöst bei mir. Der Sohn hat nämlich die Teilungsversteigerung des Hauses beantragt. Und das Gericht hat das Versteigerungsverfahren angeordnet. Das könne doch nicht richtig sein. Das Haus gehöre doch ihr allein. Leider nein! Das Haus steht im Eigentum einer Erbengemeinschaft bestehend aus Sohn und Tochter. Und deshalb kann der Sohn jetzt durchaus zu Recht die Teilungsversteigerung betreiben. Das hört sich jetzt sehr ungerecht an. Aber dazu muss man verstehen, welche Bedeutung das Vermächtnis bei der Teilungsversteigerung hat.
Was ist ein Vermächtnis bei der Teilungsversteigerung?
Es herrscht allenthalben große Unklarheit hinsichtlich der Begriffe „Vermächtnis“ und „Erbeinsetzung“. Dabei haben diese Begriffe eine sehr unterschiedliche Bedeutung. Das wird am einfachsten an einem Beispiel deutlich. In einem Testament steht: „Mein gesamtes Vermögen sollen meine Kinder zu gleichen Teilen erben, nur den Rembrandt soll mein Neffe haben.“ Dieser Satz enthält eine Erbeinsetzung, nämlich die Kinder werden zu Erben des gesamten Vermögens eingesetzt. Und er enthält ein Vermächtnis, nämlich dem Neffen wird der Rembrandt vermacht. Dieser Unterschied ist sehr bedeutsam. Und das ist auch bei dem Vermächtnis bei der Teilungsversteigerung so.
Bei einem Vermächtnis ist es nämlich im Gegensatz zur Erbeinsetzung nicht so, dass der Vermächtnisnehmer mit dem Tod des Erblassers automatisch Eigentümer des vermachten Gegenstandes wird. Vielmehr muss der Vermächtnisnehmer diesen von den Erben herausverlangen. In dem obigen Beispiel verbleibt also der Rembrandt solange Bestandteil des Nachlasses und damit im Eigentum der Kinder als Erbengemeinschaft, bis der Neffe ihn von den Kindern verlangt. Wenn er ihn nicht verlangt, dann bekommt er ihn auch nicht. Der Anspruch, den vermachten Gegenstand zu bekommen, verjährt übrigens innerhalb von drei Jahren. Wenn also der Neffe den Rembrandt drei Jahre lang nicht verlangt hat, dann kann er ihn anschließend auch nicht mehr verlangen, bekommt ihn also nie. Und wie ist das also nun mit dem Vermächtnis bei der Teilungsversteigerung?
Weitergehende Informationen zur Teilungsversteigerung finden Sie unter www.teilungsversteigerung.net.
Welche Wirkung hat ein Vermächtnis bei der Teilungsversteigerung?
Schauen wir uns noch mal das Testament der Mutter an: „Die Aktien soll mein Sohn haben, das Haus soll meine Tochter haben.“ Dieser Satz enthält gar keine Erbeinsetzung, sondern nur zwei Vermächtnisse. Die Aktien werden dem Sohn, das Haus der Tochter vermacht. Da eine testamentarische Erbeinsetzung also nicht besteht, greift die gesetzliche Erbfolge. Danach erhalten Sohn und Tochter den gesamten Nachlass in Erbengemeinschaft, also sowohl Aktien wie auch Haus. Der Sohn hat seinen Vermächtnisanspruch offenbar geltend gemacht. Jedenfalls hat er die Aktien ja bekommen. Die Tochter hat Ihren Vermächtnisanspruch – nämlich den Anspruch auf das Haus – nicht geltend gemacht. Also hat sie es auch nicht bekommen. Und jetzt kann sie es auch nicht mehr bekommen, weil der Anspruch verjährt ist. Das ihr zugedachte Vermächtnis bei der Teilungsversteigerung hat also für sie keinerlei Wirkung entfaltet.
Die Tochter hätte das ihr zugedachte – vermachte – Haus also rechtzeitig – innerhalb der ersten drei Jahre – von der Erbengemeinschaft herausverlangen müssen. Da sie das nicht getan hat, ist das Haus also im Eigentum der Erbengemeinschaft verblieben. Das Vermächtnis bei der Teilungsversteigerung, auf das sie sich berufen möchte, kann ihr also leider nicht helfen. Die Vorstellung, das Haus wäre ihr Eigentum, war also leider ein Irrtum.
Die Mutter war bei der Abfassung des Testaments vermutlich auch im Irrtum, was die Wirkung dieses Testaments anging. Vermutlich war ihr der Unterschied zwischen Vermächtnis und Erbeinsetzung auch nicht klar. Deshalb dürfte ein handschriftliches Testament auch nicht so empfehlenswert sein. Ein Notar hätte sie sicherlich darüber aufgeklärt. Dann wäre es zu dem Problem mit dem Vermächtnis bei der Teilungsversteigerung wohl kaum gekommen.
Viele Grüße
Ihr Klaus Dreyer
Es wäre vielleicht zu erwähnen das Verjährung von Vermächtnissen bei Immobilien 10 Jahre ist und nicht 3. Ja diskutabel. Aus der Praxis wohl dann eher 10.
Nach § 196 BGB gilt folgendes:
„Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück sowie auf Begründung, Übertragung oder Aufhebung eines Rechts an einem Grundstück oder auf Änderung des Inhalts eines solchen Rechts sowie die Ansprüche auf die Gegenleistung verjähren in zehn Jahren.“
Ein Immobilienvermächtnis ist ein solcher Anspruch auf „Übertragung des Eigentums an einem Grundstück“.
Welche Verjährungsfrist gilt?
Die große Frage ist nunmehr, ob für ein Immobilienvermächtnis die – längere – Zehn-Jahres-Verjährungsfrist des § 196 BGB oder die die – kürzere – Drei-Jahres-Verjährungsfrist der §§ 195,199 BGB gilt.
In der Fachliteratur wird diese Frage kontrovers diskutiert.
Das OLG München vertritt die Auffassung, dass die Verjährungsfrist für den Anspruch aus einem Grundstücksvermächtnis zehn Jahre beträgt (OLG München, Urteil vom 26.07.2017, 7 U 302/17)
Ja, das ist richtig. Das OLG München hat seine Rechtsprechung noch mal bestätigt: OLG München, Beschl. v. 18.02.2021 – 33 W 92/21. Also muss wohl in Zukunft davon ausgegangen werden, dass für Vermächtnisse von Immobilien die zehnjährige Verjährungsfrist gilt.
Viele Grüße
Ihr Klaus Dreyer
Kleine Klärung: in der Rechtspraxis wird ausgelegt, ob wörtlich Vermächtnis oder ausgelegt Erbeneinsetzung gemeint ist. Bei annähernd gleichen Werten würde hier sehr wahrscheinlich ein Erbschein auf die beiden als Miterben ausgestellt werden. Die Vermächtnisprobleme Ihres Falles würden sich also nicht stellen. Wären aber zB. die Aktien 5 Mio wert oder aber das Haus 5 Mio und der jeweils andere Teil, Haus oder Aktien, nur 50.000 €, so würde der Erbschein hochwahrcheinlich auf den Alleinerben mit den 5 Mio lauten, das Vermächtnis würde im ESchein gar nicht erwähnt werden. Also:die Rechtsprechung neigt nur sehr ungern zur Unwirksamkeit eines Testaments, vielmehr zur weit reichenden Auslegung des vermuteten Willens des EL. Bei annähernd gleichen Werten läge also eine Miterbschaft viel näher als zwei Vermächtnisse bei unterstellter gesetzlicher Erbfolge. Die Schwester muss also nicht weinen und im Verfahren gibt es gar kein Vermächtnis, sondern es ist eine schlichte Teilungsversteigerung, wahrscheinlich mit Hinterlegung des Erlöses. Die Geschwister dürfen dann am „Streitgericht“ munter prozessieren…
Meine Anregung: da das von Ihnen zur Diskussion gestellte Vermächtnisproblem wirklich interessant ist, formulieren wir Ihren Fall ganz einfach um: Es gibt 3 Geschwister und ein klares Testament: 2 Geschwister als Miterben und das dritte Geschwister als Vermächtnisnehmer des Hauses und ab die Post…:-)
Hallo Herr Sommer,
ich denke nicht, dass wir hier irgendetwas anpassen müssen.
Es handelt sich um einen echten Fall. Den habe ich mir nicht ausgedacht. Und die Gerichte haben genau so entschieden, wie ich es dargestellt habe.
Außerdem glaube ich nicht, dass ein Gericht berechtigt ist, eine klare Aussage, dass der Sohn die Aktien und die Tochter das Haus bekommen soll, dahingehend umzudeuten, dass eine Erbeinsetzung zu gleichen Teilen gemeint gewesen wäre. Das hat der Erblasser dann genau so gemeint wie aufgeschrieben: Dem Sohn die Aktien und der Tochter das Haus. Daran gibt es für mein Dafürhalten nichts zu deuteln.
Viele Grüße
Ihr Klaus Dreyer
Hallo Herr Dr. Dreyer,
ich finde Ihren Fall grundsätzlich interessant und praktisch lehrreich. Ich will auch nicht den Besserwisser spielen, da es im eigentlichen Kern ja um das Problem des Unterschieds von Erbschaft (direkte Rechtsnachfolge) und Vermächtnis (nur schuldrechtlicher Verschaffungsanspruch mit der 3-Jahres-Verjährungsgefahr) geht. Und dafür ist Ihr Fall interessant genug. Da ich den Fall nicht näher kenne, gehe ich davon aus, dass Gericht schon Recht hat (aber: fragen Sie bitte einen befreundeten Erbrechtler zum spezifischen Problem der erbrechtlichen Willensauslegung, so einfach wie Sie meinen „nicht herumdeuteln“ ist es leider nicht; die Rspr. geht sehr weit, um den wahren oder hypothetischen (!) Willen des Erblassers zu erforschen/auszulegen; das Gesetz hat das Problem auch in § 2087 Abs.1 und Abs.2 BGB – unvollkommen -angesprochen und gleich Auslegungsvorgaben dazu).
Jedenfalls finde ich Ihre Webseite großartig, bitte weiter so…!
mfG
Sommer